Konflikte sind in jeder Organisation unvermeidlich. Wie wir diese Konflikte angehen und lösen, kann den Unterschied zwischen einem gesunden Arbeitsumfeld und einem dysfunktionalen Team ausmachen. Das Eskalationsmodell von Friedrich Glasl bietet eine wertvolle Struktur, um Konflikte zu verstehen und effektive Strategien zur Konfliktbewältigung zu entwickeln. Dieses Modell unterteilt Konflikte in neun Stufen, die in drei Ebenen eingeteilt sind. Jede Stufe beschreibt die Intensität des Konflikts und bietet spezifische Handlungsansätze zur Deeskalation.

Ebene 1: Win-Win

In dieser ersten Ebene gibt es noch die Möglichkeit, dass beide Parteien den Konflikt zu ihrem Vorteil lösen können. Die Kommunikation ist noch vorhanden, und es besteht die Bereitschaft, gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Stufe 1: Verhärtung

Konflikte beginnen oft mit Spannungen oder Meinungsverschiedenheiten, die sich verhärten. Missverständnisse und kleine Meinungsverschiedenheiten sind typisch.

Beispiele:

  1. Zwei Kollegen haben unterschiedliche Ansichten darüber, wie ein Projekt am besten umgesetzt werden sollte. Obwohl sie leicht genervt sind, sind sie noch bereit, miteinander zu sprechen und eine Lösung zu finden.
  2. Eine Mitarbeiterin fühlt sich übergangen, weil ihre Idee in einer Besprechung nicht berücksichtigt wurde. Sie beginnt, sich zurückzuziehen, aber ist noch offen für ein klärendes Gespräch.

Stufe 2: Debatte und Polemik

Die Diskussion wird intensiver und emotionaler. Beide Parteien versuchen, die andere von ihrer Meinung zu überzeugen, oft durch Argumentation und Beweise.

Beispiele:

  1. Ein Teamleiter und ein Teammitglied diskutieren heftig darüber, ob eine Deadline realistisch ist. Beide werfen sich gegenseitig vor, unvernünftig zu sein.
  2. Zwei Abteilungen streiten darüber, wer für einen bestimmten Fehler verantwortlich ist. Es entstehen hitzige Diskussionen in Meetings und E-Mails.

Stufe 3: Taten statt Worte

Die Parteien beginnen, sich durch Handlungen zu wehren, anstatt zu diskutieren. Das Vertrauen schwindet, und es wird schwieriger, den Konflikt verbal zu lösen.

Beispiele:

  1. Ein Mitarbeiter sabotiert absichtlich die Arbeit eines Kollegen, indem er wichtige Informationen zurückhält.
  2. Eine Kollegin beginnt, Aufgaben zu verweigern, die ihr von einem bestimmten Vorgesetzten übertragen werden, um ihren Unmut zu zeigen.

Ebene 2: Win-Lose

Auf dieser Ebene wird der Konflikt intensiver und destruktiver. Die Parteien sehen den Konflikt als Spiel, bei dem einer gewinnt und der andere verliert.

Stufe 4: Koalitionen

Parteien suchen aktiv Unterstützung von anderen, um ihre Position zu stärken. Gruppenbildung und Allianzen entstehen.

Beispiele:

  1. Ein Mitarbeiter versucht, Kollegen auf seine Seite zu ziehen, um gegen einen bestimmten Vorgesetzten vorzugehen.
  2. Eine Abteilung sucht Unterstützung von anderen Abteilungen, um Druck auf das Management auszuüben und eine Entscheidung zu beeinflussen.

Stufe 5: Gesichtsverlust

Der Konflikt wird öffentlich und persönlich. Die Parteien versuchen, den Gegner bloßzustellen und dessen Glaubwürdigkeit zu untergraben.

Beispiele:

  1. Ein Mitarbeiter verbreitet negative Gerüchte über einen Kollegen, um dessen Ruf zu schädigen.
  2. Eine Führungskraft kritisiert einen Mitarbeiter öffentlich vor dem gesamten Team, um ihre Autorität zu demonstrieren.

Stufe 6: Drohstrategien

Drohungen und Einschüchterungen werden eingesetzt, um den Gegner zu kontrollieren und zu dominieren.

Beispiele:

  1. Ein Vorgesetzter droht einem Mitarbeiter mit Entlassung, wenn dieser nicht kooperiert.
  2. Eine Mitarbeiterin droht, das Unternehmen zu verlassen und wichtige Kunden mitzunehmen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden.

Ebene 3: Lose-Lose

In dieser letzten Ebene ist der Konflikt so eskaliert, dass beide Parteien Verluste erleiden. Es gibt keine Gewinner mehr, und der Schaden ist oft beträchtlich.

Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge

Der Konflikt nimmt destruktive Züge an, und beide Seiten sind bereit, Schaden in Kauf zu nehmen, um den Gegner zu schwächen.

Beispiele:

  1. Zwei rivalisierende Teams sabotieren gegenseitig ihre Projekte, was zu erheblichen Verzögerungen und Kosten für das Unternehmen führt.
  2. Ein Mitarbeiter verursacht absichtlich Fehler in der Arbeit eines Kollegen, was zu ernsthaften Konsequenzen für das gesamte Team führt.

Stufe 8: Zersplitterung

Der Konflikt führt zur vollständigen Zerstörung der Beziehung zwischen den Parteien. Jede Seite versucht, die andere zu eliminieren.

Beispiele:

  1. Ein Mitarbeiter versucht, einen Kollegen so weit zu diskreditieren, dass dieser gezwungen ist, das Unternehmen zu verlassen.
  2. Ein Vorgesetzter unternimmt extreme Maßnahmen, um einen missliebigen Mitarbeiter aus dem Unternehmen zu drängen, auch wenn dies das Team schwächt.

Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund

Am Ende ist der Konflikt so zerstörerisch, dass beide Parteien bereit sind, ihre eigenen Interessen zu opfern, nur um den Gegner zu schädigen.

Beispiele:

  1. Zwei rivalisierende Abteilungen führen ihre Konflikte so weit, dass wichtige Projekte scheitern und das gesamte Unternehmen gefährdet wird.
  2. Ein langjähriger interner Streit eskaliert so stark, dass beide Parteien bereit sind, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, nur um den anderen zu schaden.

Fazit

Das Eskalationsmodell von Friedrich Glasl ist ein hilfreiches Werkzeug, um Konflikte im Unternehmenskontext zu analysieren und zu managen. Es zeigt, wie Konflikte von anfänglichen Spannungen bis zu destruktiven Auseinandersetzungen eskalieren können. Durch das Verständnis der einzelnen Stufen können Führungskräfte und Mitarbeiter geeignete Maßnahmen ergreifen, um Konflikte frühzeitig zu erkennen und zu lösen. Wichtig ist, dass in jeder Phase des Konflikts Kommunikationsstrategien und Mediationsansätze genutzt werden, um eine Deeskalation zu erreichen und eine konstruktive Lösung zu finden.

Indem wir das Eskalationsmodell in unserer täglichen Arbeit anwenden, können wir nicht nur Konflikte effektiver bewältigen, sondern auch eine Kultur des Verständnisses und der Zusammenarbeit fördern. Dies trägt letztlich zu einer gesünderen und produktiveren Arbeitsumgebung bei, in der sich alle Mitarbeiter wertgeschätzt und respektiert fühlen.

Bildquelle Eskalationsmodell: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Friedrich_Glasl&oldid=244160327

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