Nach dem Lockdown steigt die Nachfrage nach professionellen Bewerbungscoachings langsam wieder an. Dabei stelle ich fest, dass meine Klienten zutiefst verunsichert sind bezüglich ihrer künftigen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und wie sich die Bewerbungsprozesse im Zeichen der Pandemie verändern.
Finden im Moment überhaupt noch Vorstellungsgespräche statt und was muss ich dabei beachten?
Viele Fragen über die berufliche Perspektive kommen gerade aus den stark belasteten Branchen Gastronomie, Touristik und Luftfahrt.
Am Anfang der Coronazeit war ich selbst verunsichert und musste mich mit der veränderten Lebenssituation erst arrangieren. Derzeit bin ich mir noch unsicher, wie sich der Arbeitsmarkt in den nächsten Monaten weiter entwickelt – gerade auch im Hinblick auf mögliche neue Einschränkungen im Herbst und deren Auswirkungen für die Wirtschaft.
Soll ich mich derzeit auf Stellenanzeigen bewerben?
Die Frage ist unterschiedlich zu beantworten. Wer derzeit ohne Beschäftigung ist, sollte seine Bewerbungsbemühungen unbedingt aufrecht erhalten. Viele Unternehmen stellen noch immer ein. Was wäre auch die Alternative? Sich nicht zu bewerben ist hier sicher keine Option.
Wer gerade als Absolvent sein Studium abgeschlossen hat, sollte sehr deutlich überlegen, in welcher Branche er sich bewirbt. Zu den Gewinnern gehören die innovativen IT-Unternehmen. Der Branchenverband Bitkom geht davon aus, dass die Digitalisierung in Deutschland einen massiven Boost erfahren wird. Schon jetzt haben sich zahlreiche Unternehmen unter großem Zeitdruck umorganisiert, mobiles Arbeiten ermöglicht und Meetings in virtuellen Räumen ermöglicht. Start-Ups feilen zusammen mit der Bundesregierung an digitalen Lösungen für die Herausforderungen im Alltag mit dem Coronavirus. An der Börse verzeichnen Biotech- und Medizintechnikunternehmen deutliche Kursgewinne.
Der Onlinehandel ist bereits gut aufgestellt. Hier lassen sich Unternehmen finden, die aus der Coronazeit als Gewinner hervorgegangen sind, wie z.B. das Berliner Start-Up HelloFresh, das Kochboxen für die Zubereitung einer Mahlzeit vertreibt. Anfangs stiegen auch die Umsätze für Elektronikprodukte, mittlerweile ist hier die Nachfrage deutlich gesunken.
Schwieriger dürfte es für Absolventen in den Bereichen Gastronomie, Tourismus und Luftfahrt werden. Der Markt ist massiv eingebrochen und dürfte sich so schnell nicht erholen.
Wie soll ich mit dem Thema Corona in meinem Bewerbungsanschreiben umgehen? Soll ich es überhaupt ansprechen?
Generell müssen wir mit Corona leben, die Krise betrifft uns alle und das Thema auszublenden erscheint ein bisschen wie der Strauß, der den Kopf in den Sand streckt. Wie haben Sie die Coronazeit erlebt? Wie haben sie sich engagiert? Gerade mit diesen Erfahrungen können Sie Ihre soziale Kompetenz und Ihre entsprechenden Softskills zum Ausdruck bringen. Also spricht einer angemessenen Erwähnung im Anschreiben nichts entgegen, Sie heben sich dadurch vermutlich aus der Masse heraus. Im Anschreiben geht es immer um das Jetzt und die Zukunft, während der Lebenslauf eher den Blick auf die Vergangenheit richtet.
Befinden Sie sich in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis, so spricht auch hier nichts dagegen, sich neuen beruflichen Veränderungen zu stellen. Wobei hier das Risiko eines Stellenwechsels vor dem Hintergrund einer sich eintrübenden Wirtschaft individuell betrachtet werden muss. Aber der Schritt seinen Marktwert zu testen heißt ja nicht, dass Sie diesen Schritt dann auch wirklich gehen müssen. Hier gilt es gut abzuwägen.
Generell gilt, wer sich zur Zeit bewerben will, sollte für diesen Prozess mehr Zeit einplanen als früher. Zum einen wird die Zahl der ausgeschriebenen Stellen bei zunehmender Zahl an Insolvenzen und einer schwächelnden Konjunktur weiter rückläufig sein, zum anderen werden sich die Entscheidungsprozesse gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen verlangsamen.
Wie werden sich Vorstellungsgespräche im Rahmen der Corona-Krise entwickeln?
Nicht nur Ihr Arbeitsleben hat sich in Zeiten von Corona verändert. Viele Personalabteilungen und Headhunter arbeiten von Zuhause aus. Sicherlich haben Sie Ihre Unterlagen per E-Mail versendet. Im nächsten Schritt werden nun auch die Vorstellungsgespräche verstärkt online stattfinden. Was in Asien und Amerika längst zum normalen Bewerbungsablauf gehört, findet nun auch hierzulande immer mehr Einzug in den Bewerbungsprozess.
Worauf muss ich bei einem Telefon-/Videointerview achten?
Wird Ihnen ein Telefoninterview angeboten, so können Sie dies neben Ihrem Telefon auch per Voice-over IP (VoIP) über Ihren PC mit einem Headset führen. Im Regelfall wird man Sie anrufen. Manchmal erhalten Sie auch eine Einwahlnummer und eine zusätzliche Geheimzahl.
Was beim Vorstellungsgespräch gilt, gilt auch jetzt. Seien Sie pünktlich, gerade wenn Sie das erste mal an einem Telefoninterview teilnehmen, loggen Sie sich rechtzeitig ein und kalkulieren Sie mit ein, dass es technische Schwierigkeiten geben kann. Gerade bei einem Telefonat per VoIP achten Sie darauf, dass Sie einen guten Empfang und eine schnelle Internetverbindung haben.
Mehr und mehr werden Vorstellungsgespräche per Video durchgeführt. Ebenso wie Sie sich früher auf ein Face-to-face-Meeting vorbereitet haben, bereiten Sie sich jetzt auch auf Ihren Video-Call vor. Das Wichtigste ist die technische Grundausstattung, die Qualität Ihrer Webcam und die Ihres Mikros. Schließen Sie vor dem Call alle Programme, die für das Gespräch nicht notwendig sind, um sich besser konzentrieren zu können.
Natürlich muss nicht nur die Hardware stimmen. Installieren Sie, wenn Sie es noch nicht getan haben, Skype und Zoom auf Ihrem Rechner.
Achten Sie, wie sonst auch, auf die passende Kleiderordnung.
Auch sollte der Hintergrund gut gewählt sein. Ein möglichst neutraler Hintergrund ist unverfänglich und daher zu bevorzugen. Letztlich wird die Wohnung des Bewerbers unfreiwillig zu seiner Visitenkarte. Manche Menschen versuchen dennoch, über ihre Umgebung unterschwellige Botschaften zu senden. Da wird ein beeindruckendes Fachbuch ins Blickfeld gerückt oder die Ahnengalerie soll den Familiensinn des Bewerbers unterstreichen. Vergessen Sie nicht: Recruiter sind Profis und durchschauen solche Kniffe. Gänzlich kontraproduktiv ist es, wenn ein Bewerber auf die Dekoration angesprochen wird und dazu nichts Substanzielles sagen kann.
Weiterhin sind die Lichtverhältnisse wichtig. Ein zu dunkles Video ist hier nicht vorteilhaft. Sollten Sie ein Notebook besitzen und mit dem Ergebnis Ihrer Kamera nicht zufrieden sein, lohnt sich die Investition in eine gute Webcam. Wählen Sie einen ruhigen Ort. Ein im Hintergrund laufendes Radio oder die Geräusche einer Waschmaschine sind hier nicht angebracht. Schalten Sie Ihr Smartphone auf lautlos. Ständige Nachrichteneingänge oder Anrufe werden als störend empfunden und zeigen, dass der Bewerber leicht ablenkbar ist.
Ist alles vorbereitet, führen Sie mindestens einen Testlauf durch!
Was tun, wenn doch ein Vor-Ort-Termin gewünscht wird?
Dann führen Sie ein Vorstellungsgespräch wie früher auch, allerdings gibt es hier einiges zu beachten: Achten Sie auf Ihren Mund-Nasen-Schutz. Ich empfehle ihn erst dann abzunehmen, wenn die Interviewer es auch tun. Der klassische Händedruck zur Begrüßung entfällt mittlerweile mit Verweis auf Corona.
Zusammenfassend wird das klassische Bewerbungsgespräch mehr und mehr digital stattfinden. Dadurch ergeben sich viele Vorteile. Die Gespräche können flexibler geplant werden und kostengünstiger durchgeführt werden. Allerdings sollte im weiteren Prozess ein analoges Treffen stattfinden, damit sich alle Beteiligten noch besser kennenlernen können.